März 28 2024 21:32:11
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Ich bin abgehauen
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Leseprobe (3) aus

 

Ich bin abgehauen  (Seiten: 51 – 54 )

 

Mann, hoffentlich kriege ich nicht wieder einen Anfall! Um ruhig zu bleiben konzentrierte ich mich darauf, langsam und vor allem entspannt zu atmen, was gar nicht so einfach war, bei dem Schiß, den ich davor hatte entdeckt zu werden. Was sollte ich den Leuten auch erzählen, warum ich in deren Garten auf der Bank sitze, in deren Haus glotze, wie ein Spanner, der auf einen erotischen Kick hofft? Sollte ich denen erzählen, ich bin der, der seine Mutter in diesem Haus erschossen hat? Sehr beruhigende Vorstellung, wie die Ehefrau laut kreischend ins Haus rennt und die Bullen ruft und er, der Herr des Hauses versucht angsteinflößend zu gucken, wenn das dann überhaupt noch funktioniert, bei der Gewißheit, dass ein Mörder vor einem steht.

Komm Jan, weg mit den Gedanken und schön ruhig ein und genau so ruhig wieder ausatmen. Na, klappt ja, nur die Bilder aus meiner Erinnerung wollen nicht kommen. Und wenn Sie kommen, dann nur als kurze Momentaufnahmen in total wirrer und keineswegs zusammenhängender Folge. Mal liege ich im Arbeitszimmer und spüre die Spritze des Notarztes, dann liege ich wieder auf der Couch im Wohnzimmer und schaue diese dusseligen Soaps im Fernsehen, dann wieder renne ich brüllend in das Arbeitszimmer, zwischen die streitenden Eltern und im nächsten Moment liege ich wieder auf der Coach und schaue Fernsehen. Komisch allerdings ist, das egal in welcher Sequenz mein krankes Gehirn die Bilder einspielt, ob vor dem Schuß, nach dem Schuß, ja selbst in den Momenten, wo ich noch auf der Couch liege und noch gar nicht im Arbeitszimmer bin, sehe ich von außen meinen Bruder. Fast hätte ich vor erkennendem Schreck laut losgebrüllt. Konnte gerade noch rechtzeitig den, meiner Kehle entrinnen wollenden, Schrei als gedämpftes, überlautes Ausatmen, entweichen lassen. Ich sehe meinen Bruder. Ich sehe meinen Bruder! Von außen, so, als ob ich selber außenstehender Betrachter wäre. Ich sehe ihn so, als ob ich hinter oder gar neben ihn stehen würde und das bereits vor der Tat, bis zu der Zeit, die nach der Tat liegt. War er Zeuge der Tat, oder spielt mir hier nur mein krankes Gehirn einen Streich?

Komisch, erst jetzt wird mir bewußt, daß mein Bruder keinen Ton des Vorwurfes von sich gegeben hat. Bisher habe ich das immer damit abgetan, daß er eh, seitdem Mutter trank, keinen guten Draht mehr zu ihr hatte, aber geliebt hatte er sie trotzdem. Und mit elf Jahren hatte er das auf jeden Fall verstanden, was sich ereignet hatte. Alle hatten mir Vorwürfe gemacht, wie ich nur auf den bescheuerten Gedanken hätte kommen können, Vaters alte Waffe zu nehmen. Selbst Vater hatte mir Vorwürfe gemacht, nur einer nicht, Sven. Warum? Statt dessen sah er mich mit traurigen Augen an, Augen, die ich ansonsten an ihm nicht kannte. Auch später, in den Augenblicken, wo er meinte, ich würde ihn nicht ansehen, blickten seine sonst herausfordernden Blicke, mich sanft, traurig, fast wehmutig an, und dann, wenn er fühlte, daß ich ein anderes Gesicht, sein weiches, fast fürsorgliches Gesicht,  gesehen habe, verließ er schlagartig den Raum. Nie habe ich gefragt warum er ging. Nie habe ich mir wirklich Gedanken über diese beiden Gesichter gemacht. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt, mich zu fragen, wann auch er mir Vorwürfe machen würde, oder ob auch er sich von mir abwenden würde.

Mann Jan, was bist Du blöd! Du hast Deinen Bruder immer nur als den gesehen, den Du in ihm sehen wolltest, den, der gerne den großen Max spielt, andere klein hält um selber groß zu sein.

Auffallend war doch auch, dass Sven sich in den letzen Jahren sich zu einem Jungen entwickelte, der Schlägereien nur so suchte, wie einer, der mit Absicht sich am liebsten selbst zerstören würde. Klar, auch früher vor dem Tod unserer Mutter hat er sich geprügelt, aber nie so, dass er blutend nach Hase kam oder es Anzeigen hagelte. Von Vater wusste ich, daß er auch bei Sven schon überlegte, ihn in ein Heim zu geben, ließ davon aber ab, da er einen Sohn schon verloren hatte. Und bisher war ja auch nichts ernsthaftes passiert, zwar einige Anzeigen wegen Körperverletzung , die aber jeweils mit ein paar Sozialstunden abgetan werden konnten. Meine Versuche mit Sven darüber zu sprechen scheiterten daran, daß ich wohl selbst genügend Mist anstecken hätte, als daß ich mir seinen Müll noch mit anhören müsse.

Was prügelt Sven aus sich heraus?  Was weiß er, was ich nicht weiß?

Bei Gericht hieß es, er sei in dem Moment an die Verandatür  gekommen, wo Mutter bereits tot am Boden liegt und ich langsam zu ihr rüber krabbele. Nein, er konnte sich nicht erinnern, dass ich geschossen hätte, er wäre je erst gekommen, wo schon alles vorbei war. Nur warum sehe ich ihn dann jetzt, wo ich hier sitze, schon vor der Tat an der Verandatür stehen? Sehe, wie er den streitenden Eltern zuschaut, sehe, wie er mich ins Arbeitszimmer kommen sieht, sehe, wie er gegen die Verandatür hämmert und die aufkommenden Tränen sein Gesicht verschmieren und Schlieren an der Scheibe hinterlassen. Sehe, wie er nach dem Schuß laut aufschreit und heulend, sich auf den Fliesen der Veranda, niederläßt. Sven, ich glaube wir müssen reden! Und zwar bald, sehr bald sogar, denn Du kannst die Lücke füllen. Du kannst mir helfen, das herauszufinden, warum ich aus der Schublade die Knarre geholt und geschossen habe. Du kannst erzählen, was mich so sauer oder eher ängstlich gemacht hat, daß ich nach dieser verfluchten Waffe griff. Ich will es ja nur verstehen. Verstehen!!  Sven! Welche Schuld trägst Du seit Jahren mit Dir herum? Ja, das Sitzen auf dieser Bank hat geholfen und das, daß ich mich auf meine Atmung konzentrierte.

Manchmal erzählen Psychologen ja doch keinen Blödsinn, hatte nicht Marion, meine Heimpsychologin, immer gesagt, daß wenn mich die Erinnerung überfällt, ich mich auf meine Atmung zu konzentrieren habe. Mann Du dusselige Kuh, warum hast Du nicht gesagt, daß es umgekehrt zu erfolgen hat?! Ich muß mich konzentrieren, langsam atmen und die Erinnerung selber aufrufen, aufrufen in einem Zustand, der von mir kontrolliert wird! Komm Jan, jetzt nichts wie ungesehen raus aus den Garten und hoch in den Bauwagen, Rucksack schnappen und ab nach Hannover, zu meinem Bruder.

Langsam, darauf bedacht nicht wieder Gefahr zu laufen in einer dieser Tümpel zu fallen, schlich ich mich aus dem Garten, an der Garagenwand entlang, hinaus auf die Straße, wenn da diese ausfahrbare Hundeleine nicht gewesen wäre.

Die Frau in fast fünf Meter Entfernung hatte ich gesehen, nur nicht, daß an ihrer zu meiner Seite hin gewandten Hand ein Köter hing, über dessen Leine ich stolperte. Ich weiß nicht wer mehr Erschrocken war, ich über das plötzliche Gefühl, daß mich am Bein etwas berührt, wo doch nichts hätte sein dürfen, oder der kleine Köter, so eine Mischung aus Yorkshire und Dackel? Der Köter kläffte los,  als ging es darum ein ganzes Heer von Dieben und Mördern abzuwehren, die Frau brüllte etwas von Einbrecher und ich? Ich rannte, rannte was das Zeug nur hielt. Völlig außer Atem drosselte ich meine halsbrecherische Flucht erst, als das Dunkel des Waldes mich umgab und ich mich wieder sicher fühlen konnte. Mann, das war knapp! Nach Luft ringend, lehnte ich mich an einen Baum, kramte eine Zigarette aus der Packung hervor und rauchte, hustete, da der Qualm der geplagten Lunge keineswegs guttat, schmiß die angerauchte Kippe fluchend in das Dunkel des Waldes, wo sie auf nassem Boden bald aufhörte zu glühen.



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