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Fehlkalkulation und Trennung
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Leseprobe (1) aus

Fehlkalkulationen und Trennung  (Seiten: 17 – 23)

„Damit wir Patricks Art mit Problemen umzugehen besser verstehen können, müssen wir, verehrtes Gericht, einige Jahre zurück gehen, in eine Zeit, wo sich grundlegende Dinge in Patricks Leben ändern werden.“

Patrick schaute träumend zum Fenster hinaus. Es hatte gerade angefangen zu schneien und der große Garten, des elterlichen Hauses, erhielt einen puderzuckernden Überzug. Durch die geschlossene Zimmertür vernahm er, wie sein Vater die Möbel abbaute und in den Flur stellte, damit diese, am heutigen Vormittag, durch den Umzugswagen abgeholt werden können.

Patrick konnte das kaum verstehen, was sich in den letzten sechs Monaten so alles ereignet hatte. Während er abschiednehmend in den Garten blickte, liefen die Ereignisse der letzten Jahre, wie ein Schmalspurfilm, vor seinem geistigen Auge ab.

Die ungewollten Veränderungen begannen im Herbst, 1993. Patrick war gerade 14 Jahre alt geworden, als ihm gewahr wurde, dass seine Eltern sich immer häufiger stritten. Aus den vielen Gesprächen, die immer lauter ausgetragen wurden, erfuhr er, dass etwas in der Firma seines Vaters nicht mehr stimmte, was mit erheblichen Geldnöten zu tun hatte. Demzufolge kam sein Vater immer später nach Hause, zeigte wenig Interesse für das, was er und seine Mutter den Tag über machten. Sprach man ihn darauf an, erwiderte er meist sehr erregt, dass er im Moment genug damit zu tun hätte, die Firma am Leben zu erhalten, dann könne er zu Hause nicht auch noch Probleme gebrauchen.

Somit hatte er auch keine Zeit mehr mit Patrick, wie sonst üblich, zweimal in der Woche zum Tennisclub zu gehen um dort ein paar Matchs zu absolvieren.

Im Frühjahr des Jahres 1994 verkaufte sein Vater das Boot, er benötigte das Geld für die Firma. Ab da überschlugen sich die Ereignisse. Im Herbst 1994 drohte die Bank das Haus zu versteigern, was sein Vater noch einmal, allerdings nur kurzzeitig, abwenden konnte.

Es war 1995 kurz vor Ostern, wieder einmal war ein Banktermin, wo es um das Haus der Normans ging. Seine Eltern hatten den Termin gemeinsam wahrgenommen und waren streitend nach Hause gekommen. Patrick saß zu diesem Zeitpunkt auf der Veranda und schraubte an seinem Mountainbike eine neue Vordergabel ein. Seine Eltern glaubten anscheinend, er sei nicht zu Hause, jedenfalls stritten sie sich sonst nicht so offen.

”Du und Deine Scheißfirma, großes Geld wolltest Du machen! Toll hast Du das hingekriegt. Schulden und nichts als Schulden, Du hattest noch nicht einmal Skrupel davor, unser Privatvermögen in Deine Geschäfte mit einzubinden. Wofür eigentlich?”, schimpfte Frau Norman mit sich fast überschlagender Stimme und warf Ihre Handtasche auf die Couch.

”Margot, was soll das jetzt. Es ist nun einmal passiert. Klar ich habe Fehler gemacht, hätte nie das Projekt anfassen dürfen.”

”Michael ich halte das nicht aus.” schimpfte sie, während sie sich, mit dem Rücken zu ihrem Mann auf der Couch niederließ, weiter. ”Warum konntest Du nicht, wie all die Jahre, in denen wir uns unser kleines Reich hier aufgebaut haben, als freier Architekt weiter arbeiten. Wir hatten doch alles, ein nahezu abgezahltes Haus, ein Boot, ein gesundes Kind und genügend Rücklagen, um auch mal eine Durststrecke überwinden zu können. Und was machst Du? Du Idiot!” Tippte sich dabei mit dem Zeigefinder auf die Stirn. ”Da kommt so ein dahergelaufener Herr Rose, von dem Du damals schon nicht die beste Meinung hattest, als Du für Ihn den Wohnpark Hürth entworfen hattest, und lässt Dich von ihm einlullen. Das dicke Geld in einer gemeinsamen Bauträgergesellschaft zu machen. Scheiße habt ihr gemacht! Alles, aber auch wirklich alles, ist für euer tolles Projekt draufgegangen.  Seit 1993 hast Du fortwährend in die Gesellschaft finanziell reingebuttert und jetzt? Jetzt nimmt man uns sogar unser Haus weg.”

Herr Norman, der bis dahin, wie ein begossener Pudel, im Wohnzimmer gestanden hatte, ging rüber zu seiner Frau, schaute sie an und erwiderte, mit besänftigender Stimme. ”Margot, ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Nur vom Rummeckern können diese auch nicht rückgängig gemacht werden.”

Margot stand nun noch aufgebrachter auf, ging zur Glasfront des Gartenfensters und sprach, während sie hinaus schaute, ”Weißt Du wie deprimierend das ist, da in der Bank zu sitzen und um Geld betteln zu müssen? Sich von einem so jungen Angestellten vorhalten zu lassen, dass für weitere Akontozahlungen leider keine verwertbaren Sicherheiten mehr gegeben sind, dass auf den Geschäftskonten Pfändungsankündigungen liegen und nun auch noch das Finanzamt auf unserem Privatkonto, eine Sperrung ausgesprochen hat. Seit Monaten haben wir keine Rate mehr für die Hypotheken unseres Hauses abgeführt. Ist doch klar, dass die Bank zwischenzeitlich mit der Zwangsvollstreckung droht. Kannst Du mir eigentlich mal verraten, was Du mit all dem Geld gemacht hast?” fragte Margot ihren Mann, während sie sich vom Fenster weg ihm wieder zuwandte.

Patrick saß gespannt lauschend auf dem gefliesten Boden der Veranda und vergaß an seinem Fahrrad weiter zu schrauben.

”Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß wir uns verkalkuliert haben, der Neubau wesentlich teurer geworden ist, als es je geplant war. Du weißt, dass das niederschmetternde Bodengutachten für uns nicht absehbar war. Jedenfalls gab es keine Hinweise darauf, daß auf diesem Acker, in den 70-iger Jahren, chemische Abfälle zwischengelagert wurden. Allein der Abtrag, die Entsorgung und Neuauffüllung hat ein Vermögen verschlungen. Margot, das hatte uns keiner gesagt, was auf dem Grundstück früher erfolgt war. Als dann auch noch der Abverkauf der Wohnungen nicht, wie geplant, binnen Jahresfrist vollzogen werden konnte und wir selbst heute noch auf 30 % der Wohnungen hocken, hat uns die immer noch laufende Zwischenfinanzierung des Projektes gänzlich reingerissen.”

”Michael, Du brauchst mir die ganze Litanei nicht erneut aufzählen! Du hättest von Anfang an auf mich hören sollen. Zuerst habe ich Dich vor diesem, mir recht windig erscheinenden, Herrn Rose gewarnt, genauso habe ich Dir davon abgeraten in den neuen Bundesländern, auf eigenes finanzielles Risiko, zu engagieren. Die haben früher schon ihre Leute belogen, meinst Du etwa, weil Du als <gescheiter Wessi> angereist kommst, erzählen die Dir plötzlich die Wahrheit? Du bist wirklich noch naiv, Michael, sehr naiv sogar.”

Während Margot dieses sagte, war sie zur Couch gegangen, hatte ihre Handtasche aufgehoben, ging zum Flur rüber, blieb kurz am Türrahmen stehen, sah zu ihrem Mann rüber, und sprach:

”Nichts ist uns mehr geblieben, Michael. Nichts!” tränen rannen ihr übers Gesicht, ”Nichts! Selbst unser Haus soll nun unter den Hammer gehen. Nein! Michael, so wollte ich nicht leben und so werde ich nicht leben.”

Schluchzend verließ sie das Wohnzimmer und eilte hoch in das elterliche Schlafzimmer.

Herr Norman saß wie angewurzelt auf der Couch, nahm sich aus dem auf dem Couchtisch liegendem Etui eine Zigarette, zündete diese sich an, lehnte sich zurück, wobei er sich zur Verandafront hin drehte und nachdenklich in den langsam erblühenden Garten schaute, wobei er seinen Sohn gar nicht wahrnahm, der nun weiter an seinem Bike montierte.

Patrick hatte alles mitbekommen. Schon während er zuhörte, realisierte er, dass sie bald gar kein Geld mehr haben werden. Die aufkeimende Gewissheit, dass das Haus nun versteigert werden soll, traf ihn, wie ein zu hart geratener Kinnschlag. Wohin sollten sie dann gehen? Zum erstenmal in seinem Leben machte sich Patrick tatsächliche, existentielle Sorgen. Bisher war er davon verschont geblieben. Zwar hatte er nie Geld in Hülle und Fülle, aber wenn er etwas haben wollte, so bekam er es in der Regel auch, sofern er den Nutzwert seiner geplanten Anschaffung, seinem Vater gegenüber, überzeugend verkaufen konnte, jedenfalls funktionierte dies bis vor zwei Jahren recht gut. Seitdem gab es nur noch Geld für Klamotten, selbst Taschengeld war auf zehn Mark die Woche reduziert worden. Aber Patrick beklagte sich nicht, da er mitbekam, daß seine Eltern ebenfalls auf viele Dinge verzichteten. Die Theaterbesuche entfielen, das Segelboot wurde verkauft und der neue 5-er BMW, wich einem klapprigen älteren Passat - Kombi. Selbst Patricks Mutter verkaufte ihren Golf und es kam kein Ersatz dafür mehr rein. Die langen Urlaubsreisen nach Holland entfielen, statt dessen wurde Patrick auf Jugendfreizeiten der Kirchengemeinde geschickt, was ja auch nicht schlecht war, zumal Thorsten, sein bester Freund, mitfuhr. Vor gut einem Jahr hatte Herr Norman die ganze Familie aus dem Tennisclub abgemeldet, da das Geld für die Monatsbeiträge einfach nicht mehr reichte.

Das Mountainbike, vor dem Patrick gerade hockte, hatte er sich selbst verdient, zwar hatte sein Vater ihm zugesagt, er würde ihm zum Geburtstag ein neues schenken, aber wo kein Geld ist, kann auch keines mehr herkommen, daher musste hier selbst gehandelt werden. Aber all das, was sich in den letzten zwei Jahren so ereignete, hatte ihm signalisierte, daß seine gewohnte Welt immer mehr aus den Fugen geriet, jedoch mit der Hoffnung gepaart, dass sein Vater das schon wieder in den Griff bekommen würde, was für ein Trugschluss.

„Sehr verehrtes Gericht, verständlich, dass diese Veränderungen an Patrick nicht spurlos vorübergingen. Er wurde in der Schule und in seiner Clique immer leichter reizbar, und dort, wo er früher Auseinandersetzungen, um des lieben Friedens willen, auswich, begrüßte er es zwischenzeitlich förmlich, wenn ihn einer krumm von der Seite anmachte. Das gab ihm dann einen inneren Kick, so, als ob plötzlich einer einen Hebel in seinem Inneren umlegen würde, der ein wohliges Gefühl, einer sich anbahnenden Rauferei auslöste, in der er seine aufgestaute Aggression abladen konnte. Auf der einen Seite befriedigte ihn das, denn immer häufiger ging er aus solchen handfesten Schlägereien als Sieger hervor, doch auf der anderen Seite, sobald dieser Kick und die sich entladende Wut vorbei waren, löste dies eine depressive Phase aus.

Die eben angesprochene Versteigerung des Hauses, in dem er seit seiner Geburt lebt, empfand Patrick als einen nicht mehr reparierbaren Fortgang der Dinge.“ Kommentiere ich das bisher erzählte.

Diese erschreckende Erkenntnis, ließ eine kaum mehr zu bändigende Wut aufkommen, die er mit einem energischen Fortschleudern des Achterschraubenschlüssels, mit dem er eben noch zugange war, in den weitläufigen Garten des Hauses, kundtat.

Erst durch diese Armbewegung, wurde Herr Norman auf ihn aufmerksam, weshalb er raus auf die Veranda ging.

”Hey Patrick, will das Bike nicht mehr so richtig?”, versuchte Herr Norman das Gespräch in Gang zu bringen.

”Paps, was soll diese dämliche Frage! Fändest Du es nicht angebrachter auch mir mal zu sagen, was hier eigentlich gespielt wird? Oder meinst Du etwa ich bin so blöd und kriege nicht mit, daß Du so gut wie am Ende bist?”, konterte Patrick provozierend, wobei er sich aus dem Schneidersitz erhob und nun dicht, mit breiter Schrittstellung und leicht angewinkelten Armen, vor seinem Vater stand.

”Okay Patrick, Du scheinst ja alles gehört zu haben. Ja, die Firma ist am Ende. Aber mach dir mal keine Sorgen, irgendwie bekomme ich das schon wieder hin.”

Patrick lachte hysterisch auf, ließ sich im Lachen auf den Verandastuhl fallen und erwiderte mit sarkastischer Stimme:

”Ich weiß, Paps. Ich weiß! So wie Du das Boot hingekriegt hast, das Auto und nun auch das Haus, so kriegst Du auch den Rest hin. Da bin ich mir inzwischen schon ganz sicher!”

Herr Norman kochte innerlich vor Wut. Zuerst wird er von seiner Frau gemaßregelt und nun auch noch von seinem halbwüchsigen Bengel. Der enorme psychische Druck, unter dem er die ganzen letzten Monate stand, entlud sich, nur leider falsch. Er machte einen Schritt auf Patrick zu und eh sich dieser versah, hatte er eine Ohrfeige erhalten, die seinen Kopf zur Seite fliegen ließ. Patricks Gesicht versteinerte sich, es sah fast so aus, als ob er auf seinen Vater losgehen wollte, zumal er wie von der Sehne geschnellt vom Stuhl aufsprang, einen vor Gift und Verachtung sprühenden Blick auf seinen Vater warf, sich dann aber von ihm abwendete und geschwind das Bike sich nahm. Kurz drehte er sich zu seinem Vater um: ”Das wagst Du nicht noch einmal,” kam es leise, regelrecht drohend über seine Lippen und dann, plötzlich laut schreiend: ”Du Versager!”




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